Blick in die Chronik

Vom Lichtspielhaus zum Theater

Der Warendorfer Theodor Sparenberg hatte schon 1924 ein erstes Kino im Gasthof Heimann an der Oststraße übernommen. 1925 gründete er zusammen einem Kompagnon die »Warendorfer Lichtspiele« an der Freckenhorster Straße. Über dem Kino gab es einen Parkettsaal, in dem Sparenberg außerdem Tanz- und Anstandsunterricht erteilte. Sein Wirkungskreis reichte von Warendorf über Neubeckum, Wiedenbrück, Bünde und Rheda bis Gütersloh. Ob mit mobilem Vorführgerät oder als Betreiber zeitweiliger Lichtspielhäuser galt Sparenberg als »Kinokönig« der Region. 1933 änderte sich das Kinowesen mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten grundlegend. Die Branche war Teil der NS-Propaganda und auch die kleinen Kinobetriebe waren dem staatlichen Einfluss ausgeliefert. Die Filmindustrie lief auf Hochtouren, wovon viele Kinobetreiber letztlich profitierten. Neubaupläne für ein weiteres großes Lichtspielhaus mussten aber kriegsbedingt zunächst verschoben werden.

Portraitfoto Theodor Sparenberg
Theodor Sparenberg, Kinobetreiber, Tanz- und Anstandslehrer

Diese Pläne verwirklichte Sparenberg dann im Jahr 1950 mit dem Bau des Theaters am Wall am Wilhelmsplatz. Als Architekten holte er den Düsseldorfer Filmtheater-Spezialisten Hanns Rüttgers nach Warendorf, der in seiner beruflichen Laufbahn rund 200 Kinobauten verwirklichte. Das Grundstück am Wilhelmsplatz erwarb Sparenberg von der Stadt, verbundenen mit einer Auflage im Kaufvertrag, das Kino mit einer Bühne und einem Orchestergraben auszustatten. So sollten in der Kreisstadt Warendorf auch Konzerte und Theateraufführungen möglich sein. Im Februar 1950 berichtete »Die Glocke« über den geplanten Neubau, Baubeginn war im selben Jahr im August. Eröffnet wurde das Haus nach einer erstaunlich kurzen Bauzeit von nur 3 Monaten am 9. November 1950. Am Eröffnungsabend lief das Alpendrama »Föhn – Sturm in der Ostwand« mit Hans Albers, Liselotte Pulver und Adrian Hoven.

Presseartikel zum Bau des Theaters
»Die Glocke« berichtet über den geplanten Theaterbau
Schwarz-weiß-Foto vom Wilhelmsplatz, Baugrundstück
Auf diesem Grundstück vor dem »Langen Jammer« wird das Theater am Wall 1950 gebaut.
Richtfest mit Theo Sparenberg
Theo Sparenberg als stolzer Bauherr
Inserat Eröffnungsfilm »Föhn - Sturm in der Ostwand«
Zur Eröffnung am 9.11.1950 zeigte das Theater das Bergdrama »Föhn - Sturm in der Ostwand« mit Hans Albers und Lieselotte Pulver.
Blick in den Kinosaal 1950
Zu Beginn hatte der Saal eine Kapazität von 557 Plätzen.
Saal.-Ansicht mit Blick auf die Bühne
Blick auf die Bühne, die mit 110 Quadratmetern auch Platz für Theatergastspiele und Konzerte bot.
Blick von Außen auf das fertigestellte Theater
So zeigte sich das fast fertiggestellte Theater im Herbst 1950.
Schwarz-weiß-Foto, Theater außen, Anreise Wiener Sängerknaben
Ankunft der Wiener Sängerknaben am Haupteingang des Theaters.
Schwarz-weiß-Foto, Familie Sparenberg trifft die Wiener Sängerknaben
»Meet & Greet« mit den Wiener Sängerknaben Anfang der 50er Jahre.

Mit dem Erwerb des städtischen Grundstücks war Kinobetreiber Theodor Sparenberg 1950 vertraglich auch die Verplichtung eingegangen, den Theaterneubau mit einer Bühne und einem Orchestergraben auszustatten. Die Stadt Warendorf sicherte sich vertraglich außerdem bis 1970 das Recht, »den Saal und die Bühne des Theaters am Wall bis zu sechsmal im Jahr an einem Werktage für städtische Veranstaltungen zu den Selbstkosten zur Verfügung zu stellen.«

Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, kulturelle Veranstaltungen anzubieten und schon in den ersten Jahren sorgten Auftritte der Wiener Sängerknaben oder des Barnabás von Géczy Orchestras für kulturelle Höhepunkte in der Emsstadt. Anfang der 50er Jahre wurde Warendorf Mitglied beim »Westfälischen Landestheater« und im Rahmen eines »Kulturrings« wurden regelmäßige Theatergastspiele im neuen Theater am Wilhelmsplatz angeboten.

In den 1960er Jahren führte der Kulturring die Abonnenten immer öfter mit Bussen zum Stadttheater nach Münster, in die Halle Münsterland und andere Theater außerhalb von Warendorf. Theodor Sparenberg setzte sich vehement dafür ein, wieder häufiger Gastspiele im Theater am Wall durchzuführen. Schließlich hatte er rund 70.000 DM für die Bühne und den Orchestergraben in seinem Theater investiert.

Die seit 1950 geführten Gästebücher dokumentieren eindrucksvoll, dass insbesondere seit den 1970er Jahren wieder zahlreiche Theatergastspiele auf der Warendorfer Bühne stattgefunden haben. Namhafte “Stars und Sternchen” sind in den Gästebüchern zu finden, darunter Iffland-Ring-Träger Josef Meinrad, Hans-Joachim Kulenkampf, Hans Clarin, Horst Tappert, Doris Kunstmann, Thekla Carola Wied, Götz George, Heidi Kabel, Hans Korte, Will Quadflieg uvm.

Horst Tappert
Horst Tappert

Der Journalist Christoph Busch hat Mary Meyer-Sparenberg Mitte der 80er Jahre besucht und und 1998 seine Erinnerungen im Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht. Den Text finden Sie hier zum Nachlesen.

Ende 1986 trennte sich die damalige Betreiberin, Mary Meyer-Sparenberg, von ihrem Theater und vermietete es an die Stadt Warendorf. Drei Jahre später folgte die endgültige Übernahme durch den Verkauf des Hauses an die Stadt. Damit konnte sichergestellt werden, dass der Kulturring weiter eine Heimat hatte und Amateurtheatergruppen, wie »Limes Mobilé« und die Theatergruppen der Warendorfer Schulen weiter über ihre Proben- und Aufführungsstätte verfügten.

Großen Anklang fanden die Gemeinschaftsproduktionen »Joseph« (1985) und »Anatevka« (1987), aufgeführt vom Mariengymnasium und vom Gymnasium Laurentianum. Sie begründeten eine Tradition großer Schulmusicals, die von 100-300 Schüler*innen  gestaltet wurden und regelmäßig mehrere tausend Gäste ins Theater am Wall führten. Da den Schulen keine Aulen mit entsprechend ausgestatteten Bühnen zur Verfügung standen, war die Nutzbarkeit des Theaters am Wall die Grundvoraussetzung für derartige Projekte.

TaW e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der am 6. März 1996 gegründet wurde. Auslösender Anlass für die Gründung war die Beendigung des Kulturrings und die damit verbundene Schließung des Theaters am Wall. Verschiedene Bürgerinnen und Bürger, Theaterfreunde und kulturtragende Warendorfer Vereine wollten sich mit der Aussicht auf Schließung des Hauses nicht abfinden und gründeten einen neuen Verein mit dem zentralen Satzungszeck:

»Erhalt und Weiterentwicklung des Theater am Wall und Förderung der lokalen Kultur«

Zu den Gründungsvereinen zählten:

  • Heimatverein (Kultur- und Heimatpflege)
  • Altstadtfreunde (Denkmalpflege)
  • Limes Mobilé (Amateurtheater)
  • Mischkultur (Jugendkultur)

Außerdem kamen im Verlauf des Gründungsjahres weitere Kulturträger als Kooperationspartner hinzu:

  • Stadtbücherei Warendorf
  • HOT Haus der offenen Tür
  • Labyrinth e.V.
  • Kulturzentrum Schuhfabrik Ahlen
  • Theatergruppen der Warendorfer Schulen
  • Musikschule Beckum-Warendorf e.V.
  • Kammermusikkreis Warendorf e.V.
  • Kunstkreis Warendorf e.V.

 

TaW e.V. und die Stadt Warendorf sahen sich Ende der 90erJahre mit einem erheblichen Sanierungsstau konfrontiert. Bis auf notwendigste Reparaturen an der Elektrotechnik war jahrelang nicht in das alte Lichtspielhaus investiert worden. Die Vision, aus der alten Wohnung über dem Foyer eine zusätzliche Studio- und Probenbühne zu machen, schien zunächst aufgrund der schwierigen Haushaltslage der Stadt, unrealistisch. Dennoch wurde der Wunsch, aus dem alten Kino ein multifunktionales Kulturzentrum für die Stadt Warendorf zu machen und es mit neuen Inhalten und Leben zu füllen, bis in die Landeshauptstadt getragen. Das Landesbauministerium in Düsseldorf wollte das Projekt im Rahmen des Stadterneuerungsprogramms mit 70-prozentiger Landesförderung finanzieren. Nach einem Besuch der damaligen Bauministerin Ilse Brusis folgte ein Förderbescheid für den 1. Bauabschnitt, so dass mit der Instandsetzung der Technik und dem Umbau der alten Wohnung in eine Kleinkunstbühne begonnen werden konnte.

Bis zum Herbst 2004 folgten jeweis in der Spielzeitpause im Sommer drei weitere Baubschnitte. So wurde das gesamte Haus unter Federführung des Architekten Richard Pawlowski innerhalb von fünf Jahren unter den Vorgaben des Denkmalschutzes vollständig renoviert.

Am Freitag, dem 13. März 2020 hieß es zum ersten Mal: »ABGESAGT«. Dieser ersten Absage folgten mit dem landesweiten Lockdown Kontaktverbote und somit mussten wir – wie alle anderen Veranstalter – unser schönes Theater bis auf Weiteres schließen. In unseren Schaukästen wiesen große Plakate »Kunstpause« auf die außergewöhnliche Situation hin. Am 9. April haben wir den Jour-Fixe als Online-Format in die heimischen Wohnzimmer gestreamt. Die ersehnten Lockerungen wurden im Frühsommer durch einen weiteren Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf zunichte gemacht, nachdem es einen Corona-Ausbruch im Umfeld der Fleischfabrik Tönnies gegeben hatte.

Die bereits vorbereitete Spielzeit 2020-2021 musste aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung angepasst werden. Vom Prinzip Hoffnung geleitet, haben wir viele der seit März abgesagten Termin in die neue Spielzeit verlegt, die im Oktober 2020 beginnen sollte. Auf ein gedrucktes Programmheft haben wir verzichtet und stattdessen die Stücke auf unserer Internetseite angekündigt.  Im September beschäftigte uns die Umsetzung der Coronaschutzverordnung des Landes. Regeln, die rückblickend teils kurios wirken, wurden als »Beitrag für ein sicheres Theatererlebnis« plakatiert: Abstand halten, Mund-Nasenschutz tragen (außer am Sitzplatz), Hände desinfizieren, kein Händeschütteln, Kontaktnachverfolgung und vieles mehr. Am 26. September fand die erste von geplanten 32 Veranstaltungen statt. Trotz einiger Einschränkungen konnten wir somit in die neue Spielzeit starten. Doch schon am 23. Oktober 2020 mussten wir aufgrund steigender Inzidenz im Kreis Warendorf eine neuerliche Kunstpause einlegen. Der Winterlockdown und weitere Beschränkungen in den folgenden Wochen führten dazu, dass wir im Frühjahr 2021 nicht mehr spielen konnten. Die Gesamtzahl der verkauften Tickets lag in der gesamten Saison bei nur 378. 

Nach etlichen Veranstaltungsabsagen und Rückerstattungen, gingen wir im Herbst 2021 ohne Abonnenten in die neue Spielzeit, getragen von der Hoffnung, die Besucher*innen würden uns bei besseren Umständen auch ohne Abo die Treue halten. Die allgemeine Verunsicherung und Sorge vor neuem Infektionsgeschehen begleitete uns aber auch in die Saison 21/22. Jetzt lautete die Devise »3G – Geimpft, Genesen, Getestet«. Die Besucherzahlen blieben allerdings trotz hoch attraktiver Veranstaltungen sehr überschaubar. Es hatte sich eine gewisse Theatermüdigkeit verbreitet und so führte auch diese Spielzeit nur 2.237 Gäste ins Haus. Viel zu wenig, um die vollen Honorare davon bezahlen zu können. Unsere Rücklage schmolz innerhalb weniger Wochen auf einen kleinen Rest zusammen.

Eine Trendumkehr gelang erst nach der Sommerpause 2022. Dank Sonderförderung durch die Stadt sahen wir uns in der Lage, das finanzielle Wagnis einer neuen Spielzeit anzugehen. Und uns war klar, dass wir nur durch »Reaktivierung« unserer Abonnenten wieder auf akzeptable Zuschauerzahlen kommen würden. Wir gingen somit wieder mit vollem Programm in die Saison und überraschten unsere Altabonnenten mit der Reaktivierung ihrer Abos. Auch wenn wir nicht direkt die Zahlen aus der Vor-Corona-Zeit erreichten, waren wir doch mit 7.343 Besuchern bis Sommer 2023 sehr zufrieden.

Im Frühjahr 2023 hatten wir erstmals den Eindruck, die Auswirkungen der Pandemie überwinden zu können. Einen Motivationsschub brachte im Sommer dann das neue Programmheft, mit farbigen Bildern, goldenen Lettern und einfach unheimlich wertvoll gestaltet vom Warendorfer Künstler-Duo Kluck.Kola. Jana Mersch und Christian Confer hatten uns schon in der Frühphase der Pandemie mit einem Retroplakat des Theaters und der Filmreihe »Der Graf«, über Menschen hinter den Theaterkulissen, geholfen. Jetzt bereiteten Sie uns mit dem neuen Theaterprogrammheft einen wirkungsvollen Auftritt unter dem Motto »Gemeinsam. Live. Erleben.« Dass auch die Veranstaltungen ab Herbst ganz besonders gelungen waren, führte schließlich zu einer Rekord-Spielzeit mit über 10.000 verkauften Karten.